In konventionellen Sportarten wie Fußball, Handball und Co ist ein Spielerinterview nach der Partie einer der essenziellen Bestandteile bei der Aufarbeitung des Spiels. Dabei versuchen Journalisten den Spielern gezielt auf den Zahn zu fühlen, um schlagzeilenwürdige Aussagen aus ihnen herauszukitzeln. Zumeist endet dies beispielsweise mit Aufregung und anschließender Diskussion über eine Regelauslegung.
Im Esport sucht man eher vergeblich nach Interviews, in denen sich Spieler einer kontroversen Thematik stellen.
Medientraining oder komplette Abschottung der Spieler
Falls News-Outlets nicht gerade Exklusiv-Partner eines Events oder Veranstalters sind, oder über eine PR-Zusammenarbeit die Möglichkeit haben mit den Profis Interviews zu führen, ist es im Esport nur sehr schwer, direkt an Spieler heranzukommen. Die professionelle Pressearbeit bleibt fast ausschließlich den Partnern vorenthalten.
Kommt es zu einem Interview, so legt der Interview-Partner bereits im Vorhinein die Grundlage für ein möglichst kontrolliertes Gespräch ohne kontroverse Aussagen. Die andere Partei möchte Interviewfragen zumeist bereits im Vorhinein zugeschickt bekommen, um so möglichst gut vorbereitet antworten zu können. Eigentlich handelt es sich hierbei dann eher um ein Vortragen bereits ausgedachter Antworten, anstatt einem richtigen Interview. Spontane und kontroverse Aussagen werden vergeblich gesucht.
Des Weiteren sind die Spieler, vor allem an der Spitze des Esport, medientechnisch geschult und lassen sich in einem Interview nicht zu derartigen Aussagen hinreißen. Eine öffentliche Debatte wie es im Fußball beispielsweise über den Video-Schiedsrichter gibt, ist im Esport kaum denkbar. Dies liegt nicht zuletzt vor allem an den Partnern der Organisationen, die den Profis zu wenig Freiräume bieten.
Der Platz, um seinen Unmut über kontroverse Thematiken kundzutun, ist hier eher die sozialen Medien. Die Posts auf Social Media sind keinesfalls schlecht. Sie bieten ebenfalls Gesprächsstoff und können perfekt in ein eigenes Konzept verpackt werden. So zeigen BIG und Eintracht Spandau auf Twitter aktuell wie viel Aufmerksamkeit künstlich erzeugter Beef zwischen Orgas und Spielern generieren kann. So wirklich dasselbe wie bei einem Interview-Austausch ist es jedoch noch lange nicht.
Attraktives Storytelling und mehr Aufmerksamkeit
Medientraining und Co. haben mit Sicherheit ihre Daseinsberechtigung und sind in der heutigen Gesellschaft kaum mehr wegzudenken. Dennoch wünschen wir uns, dass sich der Esport in puncto Interview-Kultur vom traditionellen Sport eine Scheibe abschneidet und sich etwas mehr öffnet.
Wer erinnert sich nicht noch an Per Mertesacker’s legendäre Interview-Ansage bei der WM 2014 nach dem Achtelfinalsieg gegen Algerien (Stichwort: Eistonne). Andere Größen des Fußballs wie beispielsweise Oliver Kahn trichterten uns den Spruch “Eier, wir brauchen Eier!” ein. Auch Lothar Matthäus war regelmäßig für einen Lacher zu haben.
Im Esport gibt es nur wenige Persönlichkeiten, die einen ähnlichen Stellenwert genießen. SK Gaming’s Jungler Gilius ist ein Vertreter, der in Interviews zumeist seinen Gedanken freien Lauf lässt und sehr ehrlich sagt, was er denkt. Nur mithilfe einer derartigen Interview-Atmosphäre können Storylines entstehen, an die wir uns noch viele Jahre danach erinnern werden.
Organisationen und deren Partner müssen mehr Freiräume für offene Diskussionen geben und sich den dabei produzierten Content selbst zu Nutze machen, anstatt die Akteure bereits im Vorhinein derartig stark einzuschränken. Mehr Spieler müssen sich trauen, über ihren Schatten zu springen, Interviewanfragen offen gegenüberstehen und auch bei kontroverseren Fragen nicht direkt zurückschrecken. Denn am Ende dienen interessante Stories auch der Förderung und Entwicklung der eigenen Marke eines Spielers selbst.
Mit seinen Fans im Hintergrund kann man so auch eine Thematik positiv beeinflussen. So äußerte sich Navi’s Counter-Strike-Spieler S1mple beispielsweise kürzlich auf der Bühne der IEM Katowice zur aktuellen Situation in der Ukraine. Zwei kurze Minuten, in denen er die ganze Esport-Szene bewegte und das Gemeinschaftsgefühl eines Jeden im Publikum und daheim weckte. Seine Aussagen boten den Zuschauern die Möglichkeit sich direkt in den Gedankengang aus Spielersicht hineinzuversetzen.
Derartige Emotionen oder Kontroversen sind die Grundbausteine für eine interessante Geschichte und bieten die Möglichkeit auch Menschen außerhalb des Esports für die Branche zu begeistern. Sie müssen jedoch von den Akteuren selbst ausgehen, um eine möglichst authentische Wirkung zu schaffen. So ähnlich hat es auch der Fußball geschafft, sich zu seiner heutigen Größe mit Milliarden von Fans zu entwickeln.
Der Esport braucht mehr Typen!
Schluss mit dem Shit-Posting auf Twitter, Instagram und Facebook und ab vor die Kamera. Im Esport gibt es nur sehr wenige Spieler, die aufgrund ihrer Meinung für Zuschauer als Idole oder Vorbilder wirken. Die meisten Spieler überzeugen vorrangig mit ihrer Leistung, lassen dafür die Öffentlichkeitsarbeit jedoch ein wenig schleifen. Am Ende macht es jedoch ein guter Mix aus beiden Seiten, der einen Spieler zum Aushängeschild einer Szene macht.
Wir wünschen uns deshalb, dass sich der Esport in dieser Hinsicht noch ein wenig auflockert und mehr Möglichkeiten für offene Fragerunden bietet. Bessere Mixed Zones bei Events oder eine Art Pressekonferenz für Journalisten wäre dabei schon ein guter Anfang. Hier müssen Spieler:innen spontaner antworten und haben keine Möglichkeit von einem Skript vorzulesen.
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